Hans Fischer

30. September 2019


Zugänge

1) Ich wünschte mir, mit Kinderaugen Bilderbücher anschauen zu können! In meiner frühen Kindheit gab es das nicht. Meine ersten Erinnerungen an Illustrationen betreffen meine eigenen Zeichnungen. Zu gern hätte ich eine uralte Beziehung zu den Bilderbuchwelten von damals, eben beispielsweise zu Hans Fischers „Der Geburtstag“, „Pitischi“ und den von ihm illustrierten Märchen. Begegnet bin ich diesen Bildwelten vor etwa 15 Jahren und über einen Umweg: Ich war dabei, als der Theatermacher und Geschichtenerzähler Jörg Bohn 80! vor ihm auf dem Geschichtenteppich sitzenden Kindern eine wirklich fantastische Geschichte erzählte – auswendig und ohne Bilder –, die Geschichte von all den Tieren, welche fiebrig ein Überraschungsfest für die alte Frau Lisette vorbereiteten. Die Aufregung über die ungewohnte Zusammenarbeit! Das Chaos beim Backen, als die Eier für den Kuchen durch die Küche in die Schüssel flogen, der Backofen rauchte, der verbrannte, aber mit Puderzucker gerettete Gugelhupf den Katzen aus den Pfoten und über den Küchenboden kollerte und endlich von Hund Bello auf die riesige Tafel in der Stube getragen wurde. Das Staunen der Lisette, als sie am Abend an einem langen, langen Geburtstagstisch empfangen wurde und die Soirée mit Theater, einem Seenachtslichterfest sich entfaltete und am Ende – nur im kleinen Kreis von ihren zwei Katzen und dem Hund – oben auf dem Estrich seinen Abschluss fand, beim Korb mit jungen Kätzchen!

Ich lief los, um mir das Buch „Der Geburtstag“ zu besorgen und fand die gehörte Geschichte in den Bildern: Die Erzählung auf dem Geschichtenteppich war eine Übersetzung des locker-präzisen Linienschwungs, der fliessenden Farbsetzungen und der damit eingefangenen Atmosphäre von liebevoll-quirliger Lebendigkeit.

fis-Arabesken

Ausgangsszene mit ihrem leicht hingesetzten Licht auf der Wiese

Die Text-Initiale aus dem lockeren Handgelenk

Gugelhopfwerkstatt

Rauchalarm: Ein Kritzel – und das Entsetzen steht der Katze im Gesicht

Und am Ende noch husch, husch, die Estrichtreppe hoch!

2) Der Künstler und Grafiker Hans Fischer hat für seine drei eigenen Kinder mit dem Bilderbuchschaffen begonnen. Die Bremer Stadtmusikanten und das Lumpengesindel, zwei Grimm-Märchen machten den Anfang. Zur Entstehung für das Buch seiner jüngsten Tochter schrieb er: „… im Geratter der Eisenbahn, zwischen Zürich und Lausanne kam es mir in den Sinn. Anna-Barbararas vierter Geburtstag stand bevor, sie sollte ihr Bilderbuch haben, wie ihre beiden Geschwister eines bekommen hatten, als sie im gleichen Alter waren. Und alles musste drin sein, was sie liebte: eine Haushaltung, wo geputzt, gewaschen, gekocht und gebacken wird, wo viele Tierlein wohnen und besorgt werden und wo es viele Überraschungen gibt. (Überraschungen sind für sie das Höchste!) Eine solche Geschichte fand ich nicht zum Illustrieren, also musste ich sie selber schreiben. So entstand das Buch von der Lisette, die mit ihren Tieren in dem kleinen Haus am Waldrand wohnt, sie alle liebt, am meisten aber die zwei Katzen und das Hündchen, die mit ihr unter einem Dach hausen und ihr im Haushalt helfen dürfen. Lisette feiert ihren 76. Geburtstag und wird von den Tieren mit dem schönsten Geburtstagstisch überrascht. Aber mit dieser Überraschung ist die Geschichte noch nicht aus. Ich weiss aus langjähriger Erfahrung im Geschichten erzählen, dass immer ein „und dann!“ kommt, und bei diesem Buch sollte es einmal weiter gehen nach dem „und dann?“…
Dies und noch viel mehr ist in einem informativen Text von Hans ten Doornkaat ganz hinten im Bilderbuch zu lesen. Das Kleingedruckte schafft einen Zugang für all jene, welche die Bücher von Hans Fischer nicht in Kindertagen kennenlernen konnten, die nicht (mehr) unvoreingenommen den – wie sollte es anders sein – vom Zeitgeist mitgeprägten Geschichten begegnen.

3) Die Substanz der Bücher nutzt das Figurentheater Roos und Humbel: In Ihrem Repertoire finden sich „Pitschi“ und „Der Geburtstag“ (unter dem Stücktitel „Ein grosses grosses Fest“). Haben Kindern vor oder nach dem Theaterbesuch das Glück, mit den Büchern bekannt zu werden, eröffnet sich ihnen das Erleben von verschiedenen Aggregatzuständen eines Stoffes, wie kostbar!

Ein grosses grosses Fest, www.roosundhumbel.ch

fis-Gestaltungskraft
Im Sammelband „Im Märchenland“, 2008 bei NordSüd  erschienen, findet sich eine Reihe von Märchenbilder, welche die spätere Gattung der Wimmelbilder bereits realisieren. Ich stelle mir den Überschwang vor, der zu solchen Tableaus führt – Hans Fischer hatte ihn!

Märchenbild Rotkäppchen

Hans Fischer, 1909 – 1958

Quelle https://www.buchland.ch/fischer.htm

Literaturgymnasium in Bern, anschliessend Ecole des beaux-arts et arts industriels in Genf. 1928–1930 Kunstgewerbeschule in Zürich. 1931–32 Zeichner in einem Pariser Reklameatelier. 1932–36 in Bern Trickfilmzeichner und Schaufensterdekorateur, daneben regelmässige Beiträge für den Nebelspalter (bis 1936), später für Die Schweiz (bis 1945). 1933 Heirat mit Bianca Wassmuth, mit der er drei Kinder hat. 1937 erstes Wandbild im Berner Tierpark Dählhölzli (Fische im Netz), dem zahlreiche Werke für Schulhäuser in den Kantonen Bern und Zürich folgen. Im gleichen Jahr Umzug nach Zürich. Bis 1941 entstehen gegen 300 Bühnenbilder für das Cabaret Cornichon. 1940–42 verschiedene Zeichnungsserien für Die Weltwoche. Ab 1944 Buchillustrationen, darunter für eine Edition der Fables choisiesvon La Fontaine (1946–49). 1944 Erstausgabe der von Fischer verfassten und illustrierten Fabel Pitschi, das Kätzchen, das immer etwas anderes wollte. Das Buch findet, in zahlreiche Sprachen übersetzt, weltweiten Anklang. 1945 Überblicksausstellung in der Kunsthalle Bern, 1946–47 mit Ernst Morgenthaler im Kunstmuseum Chur. Der Umzug der Silvesterkläuse in Urnäsch regt Fischer zu einer Reihe grafischer Arbeiten an (Urnäscher Kläuse, Neujahrsspuk, Vier Teufel). 1948–49 Einzelausstellungen im Kunstsalon Wolfsberg in Zürich und im Genfer Musée de l’Athénée. 1952 Teilnahme an der Biennale di Venezia, 1954 erster Preis an der Mostra di Bianco e Nero in Lugano, 1955 Grafikpreis an der Bienal de São Paulo. 1957 erscheinen vier mit über 100 Farbstiftzeichnungen illustrierte Volksschullesebücher (Kanton Zürich). 1958 Arbeit an Illustrationen für eine französische Ausgabe der Vögel von Aristophanes und Zeichnungen der Basler Brauchtums-Figur des Vogel Gryff. Von 1949 bis zu seinem Tod im Alter von 49 Jahren an den Folgen eines Herzinfarkts, lebte Fischer mit seiner Familie in Feldmeilen bei Zürich. 1959 Retrospektive im Kunsthaus Zürich. Weitere Ausstellungen: 1979 im Kunsthaus Zug zusammen mit seinem Sohn und 1996–97 Radierungen im Strauhof Zürich.
Quelle http://www.sikart.ch

Barbara Schwarz, Leseanimatorin SIKJM